Ich habe KI-Anmachsprüche ausprobiert und es lief besser als gedacht


ChatGPT kann zwar „originelle“ Anmachsprüche ausspucken, aber mal ehrlich: Sie sind trotzdem ziemlich peinlich. Ich habe sie testweise in ein paar Bars ausprobiert. Selbstverständlich nur zu Forschungszwecken! Überraschenderweise waren die Reaktionen nicht durchweg negativ.

Ich will mich hier nicht als Casanova aufspielen, aber ehrlich gesagt fand ich Anmachsprüche schon immer ziemlich albern. Wenn man etwas Interessantes zu sagen hat, braucht man keine zuvor einstudierte Floskel, um ein Gespräch zu beginnen.

Als einige Mitglieder der Cybernews-Redaktion begannen, von ChatGPTs Anmachsprüchen zu schwärmen und dabei auffällig in meine Richtung blickten (frischgebackener Single), war schnell klar, worauf es hinauslaufen würde.

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„Na gut“, sagte ich. „Generieren wir ein paar Sprüche und ich probiere sie am Freitag aus.“ Ich war schon immer für jeden Unsinn zu haben. Und meine (derzeit ungenutzten) Cojones haben ungefähr Fußballgröße. Warum also nicht.

Die Sprüche? Wie erwartet: grauenhaft. Was mich aber wirklich interessierte: Merkt man den Unterschied? Würde ein maschinell generierter Anmachspruch auffallen? Oder wären meine Opfer, größtenteils Millennials, also technikaffin, überrascht, wenn ich hinterher verrate, dass der Spruch aus der KI stammt?

Meine Kollegin Niamh hat sich den Nachmittag über mit ChatGPT beschäftigt und einige Sprüche gebastelt, die ich später live abliefern sollte. Zwischendurch sorgte sie dafür, dass ich auch genug trinke, um den Unsinn wirklich durchzuziehen. Zudem stand sie bereit, um notfalls Erste Hilfe zu leisten, was zum Glück nicht nötig war. Unser kleines Experiment fand in den Bars von Vilnius statt, da leben und arbeiten wir. Niamh dokumentierte die Reaktionen der Damenwelt professionell.

Wenn Blicke töten könnten

Also testeten wir Spruch Nummer 1 an der ahnungslosen Barkeeperin im Bix, einer alteingesessenen Rockerkneipe gleich um die Ecke unseres Büros. Ich schaute der Mittzwanzigerin tief in die Augen, versuchte mein charmantestes Lächeln aufzusetzen und sagte:

„Heißt du zufällig Medusa? In deine Augen zu schauen wirkt wie ein strategischer Zug, und ich bin bereit, die Konsequenzen zu tragen.“

Ich weiß. Ich habe ja vorher gesagt, die Sprüche sind mies. Okay?

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Die Reaktion der Barfrau? Irgendwo zwischen Schock und kompletter Verwirrung. Als Niamh und ich ihr dann auch noch zu erklären versuchten, was wir da eigentlich machen, war sie endgültig raus. Naja, es war ja nur ein Probelauf.

Nach einer kurzen Pause betraten zwei passendere, äh, Testpersonen die Szene. Zwei junge Frauen, etwa im selben Alter wie die Barkeeperin. Inzwischen hatte mein Selbstvertrauen durch ein paar Bier und einen zufälligen Tequila-Shot (ausgegeben von einem freundlichen Litauer) ein kleines Upgrade erhalten. Also ging ich mit etwas Schwung auf die attraktivere der beiden zu und sagte den Anmachspruch Nummer 2, der funktioniert aber leider nur auf Englisch:

“Are you a bank loan? Because you have my interest, and I’m willing to manipulate the terms to ensure a favorable outcome.”

Der Gag steckt im englischen Wort „interest“. Das bedeutet sowohl Zinsen als auch Interesse. Der Spruch spielt also charmant mit der Doppeldeutigkeit. Wenn ich es wenigstens überzeugend rüberbringen könnte, wäre die Sache halb so schlimm. Aber wenn einem die KI solchen Quatsch vorsetzt, ist das in etwa so, als würde man Jimi-Hendrix-Riffs auf einer kaputten Akustikgitarre mit drei Saiten und krummem Hals spielen. Der Charme bleibt auf der Strecke.

Meine potenzielle Angebetete schien das ähnlich zu sehen. Ihre Reaktion schwankte, da waren Niamh und ich uns einig, irgendwo zwischen Verwunderung und dezenter Abscheu. Ganz ehrlich: Ich empfand Respekt für dieses Zeichen guten Geschmacks.

Anschließend war es Zeit für den Rückzug. Mein Cyber-Mojo kam im Bix offensichtlich nicht gut an. Abgesehen davon schien der freundliche Stammgast von vorhin entschlossen, mich mit kostenlosen Tequila-Shots anzufüllen. Vielleicht hatte er Mitleid. Wie auch immer, nach dem dritten oder vierten Shot flehte ich um Gnade, wir verabschiedeten uns höflich und machten uns auf den Weg.

Weiter im Text – und ins Verderben

Draußen, auf dem mit Raureif überzogenen Kopfsteinpflaster der Altstadt von Vilnius, spürte ich, wie sich die Vorfreude auf die nächste Katastrophe in mir breit machte. Was würde uns im nächsten Laden erwarten? Mittlerweile hatte sich Niamhs Lebensgefährte angeschlossen. Offenbar neugierig, welche digitale Dämlichkeit ich als Nächstes von mir geben würde.

Unser nächster Halt: die Piano Man Bar, gleichermaßen beliebt bei Einheimischen wie Touristen und nur ein paar Minuten vom Bix entfernt. Ein vielversprechendes Jagdrevier, dachten wir.

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Und diesmal wollten wir eine Schippe drauflegen. Der Laden war schon gut gefüllt, viele Tische waren besetzt, vor allem mit Gruppen junger Frauen. Vermeintlich leichtes Spiel.

Und tatsächlich: Anmachspruch Nr. 3 lief besser als die letzten Versuche.

„Bist du eine Bar? Denn bei dir fühl ich mich sofort zuhause und will gar nicht mehr gehen.“

Giedrė und Gintarė wirkten zumindest belustigt und waren bereit, mit mir ins Gespräch zu kommen. Aber haben sie den Unterschied zwischen Mensch und Maschine gemerkt? Gute Frage.

Anscheinend nicht! Zumindest theoretisch hielten sie es durchaus für möglich, dass ich mir diesen kitschigen Spruch ganz ohne KI ausgedacht haben könnte. Ob das jetzt mehr über mich aussagt oder über das, was Frauen sonst von den Herren der Schöpfung serviert bekommen – schwer zu sagen. Vielleicht will ich es auch gar nicht wissen.

Immerhin eine von beiden fand den Spruch, egal ob von Mensch oder Maschine, gar nicht so schlecht. Immerhin hat er das Gespräch eröffnet. Besonders wohl fühlte ich mich mit solchen Sprüchen als Kennenlernstrategie immer noch nicht. Aber der Versuch zeigt doch, dass Auftreten und Selbstbewusstsein entscheidend sind, nicht der genaue Wortlaut. Naja, zumindest so lange es im Rahmen bleibt.

Ein halbwegs brauchbares Ergebnis für den digitalen Pick-up-Artist. Oder nur ein Glückstreffer? Ich brauchte Klarheit. Also steuerte ich quer durch die Bar auf den nächsten mit Damen besetzten Tisch zu. Niamh hatte mir auf dem Weg noch schnell Anmachspruch Nr. 4 eingetrichtert:

„Bist du ein Passwort? Du bist zwar schwer zu knacken, aber die Mühe wert.“

Waren die Damen überrascht, als ich ihnen verriet, dass dieser Spruch von einer KI stammt? Hat das ihre Reaktion irgendwie verändert? Kurz gesagt: nicht wirklich. Die meisten stimmten mir zu: Egal ob Mensch oder Maschine, Anmachsprüche sind in den meisten Fällen ziemlich enttäuschend. Aber eine in der Runde fiel aus dem Muster. Sie meinte, die Idee mit der KI sei eigentlich ganz cool und war überraschend aufgeschlossen. Zufällig war sie, zumindest in meinen Augen, auch die attraktivste der Gruppe. Ob es Zufall war oder nicht, habe ich nicht weiter hinterfragt.

Hat mich dieses Experiment dazu gebracht, meine Meinung über Anmachsprüche zu ändern, maschinell oder menschlich? Nein. Keine Chance. Vielleicht bin ich einfach ein Gewohnheitstier, egal ob frisch getrennt oder nicht.

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Der endgültige Beweis

Der letzte Versuch des Abends bestätigte meine Haltung dazu endgültig. Niamh und ich wählten zwei Frauen an der Bar, beide attraktiv, mit Drinks in der Hand. Sie wirkten etwas älter, vielleicht Ende zwanzig, Anfang dreißig, also endlich jemand in meiner Altersgruppe.

Ich hatte nichts mehr zu verlieren, hier kommt KI-Anmachspruch Nr. 5

„Wenn Blicke töten könnten, wärst du eine Massenverführungswaffe.“

Danke, Niamh. Vielen Dank.

Wie zu erwarten, fiel die Reaktion verhalten aus. Was die beiden Frauen antworteten, traf für mich aber den wahren Kern des Problems: Es kommt nicht darauf an, was ein Mann sagt, sondern wie er aussieht und auftritt. Und genau das war für mich der Schlussstrich. Machine Learning kann unterhaltsam sein und KI-generierte Anmachsprüche sind ein netter Gag. Doch wenn es ums Flirten und Kennenlernen geht, zählt am Ende doch das, was Menschen seit jeher intuitiv wahrnehmen: Körpersprache, Ausstrahlung, Präsenz.

Nachdem der spaßige Teil des Experiments nun abgeschlossen war, blieb noch eine Frage offen: Wie neu waren diese vermeintlich originellen Sprüche eigentlich, die Niamh mit ChatGPT gebastelt hatte? Denn beim Aussprechen klangen sie ziemlich vorhersehbar. Ein kurzer Google-Check bestätigte den Verdacht: Die meisten Sprüche geistern schon seit Jahren durchs Internet, also schon lange bevor ChatGPT überhaupt existierte.

Trotzdem behauptete ChatGPT das Gegenteil. Wir fragten: Gibt KI einfach nur das wieder, was Menschen ihr vorgeben? Die Antwort lautete sinngemäß: „KI verarbeitet und kombiniert Informationen auf Basis der Daten, mit denen sie von Menschen trainiert wurde. Sie kann aber auch neue Erkenntnisse, Muster und Lösungen entwickeln, die über den menschlichen Input hinausgehen […] und auf Grundlage des Verständnisses der Daten mitunter sogar neues Wissen generieren.“

Auf unsere Anschlussfrage, ob KI also tatsächlich in der Lage sei, Anmachsprüche zu erfinden, die noch nie zuvor jemand benutzt hat, bekamen wir folgende Antwort: „Ja, KI kann neue Anmachsprüche generieren, indem sie bestehende analysiert und daraus komplett neue Varianten entwickelt, basierend auf Mustern in der Sprache. Diese Sprüche können einzigartig und kreativ sein und neue Wege des Flirtens eröffnen.“

Dem kann ich nicht ganz zustimmen. Und ich glaube, die meisten Frauen, mit denen ich an diesem Abend gesprochen habe, würden das genauso sehen.

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